Ich höre dich, du hörst mich nicht


Ich höre dich, du hörst mich nicht



Frank Maria Sellin ist schon ein seltsamer Mann. FM hat sich eine Bühne gebaut, auf der er nur die Nebenrolle spielt. Im Mittelpunkt stehen die Klient*innen, die in sein Altbaubüro im ersten Stock kommen, in der Strasse am Marktplatz, in dem gutbürgerlichen Haus mit der Jugendstilfassade und dem prächtigen Treppenaufgang aus Marmor. Ein schlichtes Bronzeschild an der Klingel: Zuhörbüro, und in der nächsten Zeile Maître Frank Maria Sellin. Beides ein bisschen hochtrabend, natürlich, aber das gehört dazu.

Eines Tages kommt eine neue Klientin herein: Anne. 'Ich finde keinen Frieden', sagt sie. Ihr Mann und ihr Kind sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen, nach einem Streit, an den sie sich nicht erinnern kann. Sie hat ihn gründlich verdrängt. FM soll ihr helfen - etwas, was er nicht kann und auch nicht verspricht. Es geht gegen seine Prinzipien. FM hört zu, sonst nichts. Keine Therapie, keine Absolution. Er urteilt nicht, er mischt sich nicht ein, er hilft nicht. Grundsätzlich nicht, aus Überzeugung. FM hält Abstand.

Ohne es zu wollen, wird Anne ihn in den nächsten Wochen aus der Bahn werfen, die er sich so schön zurecht gelegt hat: 'Sie hat mein Leben übernommen, mich aus der Bahn geworfen wie ein Unfall, ein Absturz, unerwartet, urplötzlich, unaufhaltsam. Gewaltsam und abrupt.'

Sie erzählt ihr Leben, in Bruchstücken, aber darum geht es gar nicht, obwohl es oft dramatisch verlaufen ist. FM verliebt sich in diese dunkle, faszinierende, getriebene Frau. Natürlich. Aber genau das darf nicht sein - seine selbstgewählte Rolle als Zuhörer verbietet das. Es zerreisst ihn fast. Aber Regeln sind Regeln.

Parallel dazu werden wir Zeuge, wie Emmas Leben unversehens aus den Fugen gerät. Emma, eine eher schlichte Sachbearbeiterin in einer Immobilienfirma, hat weder mit FM noch mit Anne etwas zu tun, jedenfalls noch nicht. Innerhalb einer Woche gerät ihr Leben aus den Fugen. Alles kommt da zusammen - Untreue, Trennung, Mobbing, Kündigung von Job und Wohnung. Und alles nur, weil sie jemandem Hilfe versprochen hat.

Anne findet sie zufällig im Wald, als Emma ziemlich betrunken an der Abbruchkante zum Steinbruch sitzt. Will sie springen? Das spielt keine Rolle. Anne nimmt sie mit, nimmt sie auf. Ohne zu fragen, ohne zu reden. Einfach so. Anne ist so. Sie hat Erfahrung mit Krisen.

Dadurch, dass sie Emma aufnimmt, löst sich ihr Knoten. Sie weiss wieder, was vor dem tödlichen Unfall abgelaufen ist.

Jetzt braucht sie FMs Hilfe, und sie bittet ihn darum. Für Emma. Jetzt, als die beiden sich auch persönlich angenähert haben und FM es sogar geschafft hat, Anne (ziemlich verklausuliert) seine Liebe zu gestehen.

Emma helfen? Das hiesse, dass er sich engagieren, einmischen, aktiv werden müsste. Er müsste Stellung beziehen.

Tut er das? Kann er das?


Ich höre dich, du hörst mich nicht
Roman
von Gert Richter
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